KI und Architektur - ein Realitätscheck mit der Arbeit von Andrés Reisinger
Andrés Reisingers Serie „Take Over“ wirft die Frage auf, ob und inwiefern sich digitale Entwürfe ins Physische übertragen lassen – und wie man so zum globalen Star werden kann.
Wir erleben gegenwärtig einen bedeutenden Paradigmenwechsel in der digitalen Bildherstellung. Jüngste Innovationen und Künstliche Intelligenz ermöglichen hyperrealistische Darstellungen, etwa von Interieurs und Bauten. Der virtuelle Raum bietet dabei die Möglichkeit, visionäre sowie fiktive Designs außerhalb der Grenzen der realen Welt auszutesten.
Hyperrealistisch
Mit einer Ausbildung in Grafikdesign und Architektur sowie mehr als einem Jahrzehnt Erfahrung im 3D-Rendering schafft Andrés Reisinger makellose Bilder von Architektur, Innenräumen, Möbeln und Skulpturen. Seine Arbeiten, die er vorrangig auf sozialen Netzwerken wie Instagram präsentiert, zeichnen sich durch einen traumhaften Realismus und eine einzigartige visuelle Lebendigkeit aus. Für Aufsehen sorgte Reisinger 2018 mit seinem 3D-Rendering eines Stuhls, der wie eine große, blühende Hortensie aussieht. Das Bild ging viral, und Reisinger wurde über Nacht berühmt.
Gemeinsam mit dem niederländischen Designunternehmen Moooi und der Textildesignerin Júlia Esqué wurde Reisingers digitaler Entwurf 2021 mit 20.000 lasergeschnittenen Blütenblättern aus Polyester in die Realität umgesetzt. 2023 erregte Reisinger mit seiner Serie „Take Over“, die ebenfalls als virtuelle Serie begann, hohe Aufmerksamkeit. „Take Over“ spielt in großen internationalen Hauptstädten wie Paris, London, Rom, Tokio und New York City und hüllt die dortige Architektur in flauschige, flockige, federnde oder haarige rosa Stoffe. Wie seine früheren Kreationen versucht „Take Over“, die Grenzen zwischen der digitalen und der physischen Welt zu verwischen und unsere Vorstellung davon zu hinterfragen, was Realität bedeutet.
Auf seine hyperrealistischen Darstellungen folgte eine enorme Nachfrage nach Ort und Dauer der Installationen – so verblüffend echt schienen die Bilder. Das starke Interesse beflügelte Reisinger dazu, seine digitalen Entwürfe in physische Installationen zu übertragen. Die erste fand in Miami anlässlich der Miami Art Week im Dezember 2023 statt. Eine wellende rosa Installation drapierte eine Fendi-Ladenfront und war praktisch nicht von ihrem digitalen Vorbild zu unterscheiden.
Es folgten textile Installationen an Gebäuden in Städten wie Dschidda, Madrid, Miami und zuletzt New York City. Während architektonische Elemente im virtuellen Raum keiner konventionellen Logik folgen müssen, stellen sich im physischen Raum Herausforderungen wie Materialität, Statik, Logistik, Bauvorgaben, Vorschriften, Finanzierung, Nachhaltigkeit und Wartung – um nur einige zu nennen. Im virtuellen Raum hingegen wird Architektur zu einer Art grenzenlosem, gestalterischem Experiment. Die Freiheit von physischen Einschränkungen, die Möglichkeit zur schnellen Veränderung und die einfache Verbreitung ermöglichen völlig neue, inspirierende Wege, Räume zu entwerfen und zu erleben.
Andrés Reisinger
Designer und Künstler
Andrés Reisinger ist ein argentinischer bildender Künstler und Designer mit Wohnsitz in Madrid und Barcelona, Spanien. Er ist der Gründer von Reisinger Studio, einem multidisziplinären Designstudio mit Büros in Madrid und Barcelona. Reisinger wurde mit Installationen bekannt, die physisch nicht existieren, und wurde mit seinen virtuellen Gebäudeverhüllungen zum Social-Media-Star, bevor seine Werke in die "echte" Welt kamen. Alles begann 2018, als er eine digitale Skizze seines flauschigen Blumensessels "Hortensia" (siehe am Ende des Artikels) auf Instagram postete und diese viral ging. Seine Designkarriere begann an der Fakultät für Architektur, Design und Urbanismus an der Universität von Buenos Aires, wo er Grafikdesign studierte.
„Die Umsetzung von ‚Take Over‘ von einer digitalen in eine physische Serie stellt eine außergewöhnliche Herausforderung dar, da sie einen sich entwickelnden Dialog zwischen dem Greifbaren und dem Unfassbaren darstellt“, merkt Reisinger an. „In diesem Spannungsfeld zwischen digitaler und physischer Welt liegen für mich die spannendsten Möglichkeiten. Für mich ist Architektur nicht mehr auf Strukturen beschränkt; es ist dieser Dialog zwischen den beiden Welten, der die Innovation vorantreibt.“
Andrés Reisingers Arbeiten zeigen, wie die Grenzen zwischen digitalem und physischem Raum zunehmend verschwimmen und neue Perspektiven für Architektur und Design eröffnen. Seine einzigartigen Installationen laden uns ein, Realität und Virtualität zu hinterfragen und lassen uns staunen. Durch die Verbindung von digitaler Innovation und greifbarer Umsetzung eröffnet Reisinger eine visionäre Dimension, die sowohl künstlerische als auch technische Möglichkeiten für die Zukunft aufzeigt. Seine Arbeit ist nicht nur Ausdruck der digitalen Revolution, sondern auch eine Einladung, über das Potenzial einer hybriden Realität nachzudenken.