Lesezeit: 4 min | Okt. 2024

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Editorial

Kann Architektur glücklich(er) machen? Die Kraft von kreativen Lebensräumen

Während wir durch anhaltende weltweite Krisen navigieren, war die positive Kraft der Architektur noch nie so wichtig. Von bunten öffentlichen Plätzen bis zu kreativen Arbeitsumgebungen – Architektur hat das Potenzial, nicht nur unser äußeres Umfeld, sondern auch unsere Gefühle zu beeinflussen.

Nach einem Jahrhundert der Moderne scheinen unsere Städte jedoch vorwiegend von monotonen Rastern aus Büros und Wohnblocks überzogen zu sein. Statt durch Straßen voller bunter Fassaden und warmen Materialien bewegen wir uns allzu häufig durch eintönige, anonyme und kalt wirkende Gegenden.Diese Meinung vertritt zumindest Thomas Heatherwick. Der britische Designer und Architekt veröffentlichte 2023 das Buch „Humanise“, in dem er betont, eintönigen, grauen – sprich seelenlosen – Straßenbildern ein Ende zu setzen. Heatherwick, der Le Corbusier den "König der Langeweile" nennt, fordert eine neue Generation „visuell komplexer“ Gebäude in Form und Farbe, um unsere Augen zu nähren und unsere Seelen zu heilen. In anderen Worten: Eine emotionale "Vermenschlichung" von Architektur.

Jemand, der Heatherwick wohl zustimmen würde, ist Yinka Ilori. Der britisch-nigerianische Architekt und Designer wird selbst oft als „Architekt der Freude“ bezeichnet. Kein Wunder, seine Arbeiten sprühen geradezu von Farben und wilden Mustern. Dabei schöpft Ilori Inspiration oft aus seiner Kindheit und lädt mit seinen verspielten Designs dazu ein, selbst mit Kinderaugen durch seine Gebäude und Installationen zu gehen (siehe Foto unten: © Andy Stagg)

Auch die niederländischen Architekten MVRDV wissen um die Macht der Farbe. Haus 1, ein knallgelber Bürokomplex in Berlin, wurde in Zusammenarbeit mit HS Architects entworfen. Die kräftige Farbe, die Optimismus und Innovation signalisiert, ziert sowohl die Außenfassade als auch die große Zickzack-Treppe, die zum Dach des Gebäudes führt (siehe unten Foto: © Schnepp Renou).

Einen besonders schönen Umgang mit Farbe zeigt beispielsweise auch das mit dem IF DESIGN AWARD 2024 Gold ausgezeichnete Projekt „Luisenblock West“ (siehe unten). Für den Deutschen Bundestag haben Sauerbruch Hutton Architekten ein neues Bürogebäude aus vorgefertigter Holzbauweise errichtet. Hauptakteur spielt ganz klar die farbenfrohe Fassade. Sie nimmt Bezug auf die jahreszeitlich bedingten Farbveränderungen der umliegenden Bäume und ist zugleich eine Metapher für die wachsende Vielfalt der deutschen Bevölkerung, für die dieses Gebäude errichtet wurde.

Allein auf Farbe oder Muster zu setzen wäre jedoch zu einfach gedacht. Vielmehr braucht es auch den Austausch zwischen Architektur und Mensch. Aktiv einbezogen wird die Bevölkerung etwa bei der ebenfalls mit dem iF DESIGN AWARD ausgezeichneten Fassade des „WZ Jardins Hotels“ in São Paulo. Die vom Estudio Guto Requena entworfene 30-stöckige Fassade, die als städtische Kunstintervention fungiert, enthält Sensoren, die in Echtzeit Geräusche und Luftqualität erfassen und daraus leuchtende Bewegungen, Formen und Farben generieren. Über eine Telefon-App kann die Öffentlichkeit direkt mit dem Werk interagieren und so dessen Aussehen verändern.

Nicht nur visuell, sondern auch gesellschaftlich beeinflusst hingegen "Presence in Hormuz 2“ von ZAV Architects. „Presence in Hormuz 2“ ist eine touristische Entwicklung im Persischen Golf im Iran, mit dem Ziel, die lokale Wirtschaft und Gemeinschaft der Insel zu stärken. Gebaut aus zahlreichen Kuppeln – einer den Einheimischen vertrauten Bauweise – besteht die Anlage aus mehreren Ferienhäusern. Ihre geringe Größe machte sie mit den Baukapazitäten lokaler Handwerker und ungelernter Arbeiter kompatibel. Der größte Teil des vorgesehenen Budgets wurde für die Bezahlung lokaler Arbeiter statt für teure, importierte Materialien eingeplant, um so einen Großteil an die Bevölkerung zurückzugeben. (Siehe Foto unten: Soroush Majidi).

Die Beispiele zeigen eindrücklich, dass Architektur auf vielseitige Weise als Werkzeug genutzt werden kann, um Freude zu schaffen und das Leben der Bevölkerung zu verbessern. Es muss jedoch über die Ästhetik hinausgedacht werden, um nachhaltig einen positiven Effekt zu erzielen. Architektur sollte Räume schaffen, die Emotionen ansprechen, Gemeinschaft fördern und das Wohlbefinden der Menschen im Fokus haben. Indem sie soziale Interaktionen fördert und kulturelle Identität respektiert, kann Architektur nicht nur visuell ansprechend, sondern auch lebensbejahend wirken. Es ist dieser ganzheitliche Ansatz, in denen Menschen sich verbunden fühlen und Freude erleben – ein wahrhaft erfüllendes Ziel für die Architektur der Zukunft.

Von Stefanie Solèr, Journalistin und Interior Designerin