Verpackungsdesignerin Lauren Tutssel über die Spannung zwischen Nachhaltigkeit und Innovation
Eine Verpackung ist nicht nur etwas "zum Einpacken" eines Produkts. Gutes Verpackungsdesign wertet den Inhalt auf, es kann Markenidentität und - was am wichtigsten ist - Nachhaltigkeitsstandards stärken. Wir haben mit iF-Jurymitglied Lauren Tutssel darüber gesprochen.
iF: Per Definition ist eine Verpackung etwas Überflüssiges, das über ein Produkt gestülpt wird. Wie passt das mit der Idee der Nachhaltigkeit zusammen?
Lauren: Wir haben noch einen weiten Weg vor uns, was die Nachhaltigkeit von Verpackungen angeht. Andererseits sind die Hersteller und Einzelhändler bei ihren Verpackungen viel gewissenhafter geworden als früher. Bis in die 1980er oder 1990er Jahre musste man eine Schicht nach der anderen entfernen, bis man endlich zu dem eigentlichen Produkt kam, das man gekauft hatte! Denken Sie an Amazon und daran, wie das Unternehmen die maximale Effizienz erreicht hat: Früher wurden zehn Kartons mit einem einzigen, kleinen Artikel darin verschickt. Jetzt bündeln sie viel mehr als früher. Die Unternehmen sind also viel gewissenhafter und zwingen Sie dazu, an der Kasse innezuhalten und darüber nachzudenken, ob Sie dieses zusätzliche Stück Verpackung brauchen, und zu fragen, ob Sie warten können, bis alle Artikel versandfertig sind, um den LKW-Verkehr zu reduzieren.
Heute suchen viele Marken nach intelligenteren, innovativeren Wegen, um Verpackungsabfälle zu vermeiden, insbesondere in der Getränkeindustrie. Die Designs bieten oft einen zweiten Zweck sowohl für die primären als auch für die sekundären Elemente. Manchmal ist es etwas skurril und sogar sammelwürdig, wie eine Dose, die wiederverwendbar ist, oder eine Flasche, die so raffiniert gestaltet ist, dass die Leute das Produkt kaufen, um die Flasche als Vase zu verwenden oder sie in eine Lampe umzuwandeln. In vielen Bars und Restaurants werden Spirituosenflaschen als Wasserflaschen auf dem Tisch wiederverwendet. Es gibt so viele Möglichkeiten, wenn man schlau und clever ist.
Lauren Tutssel
Lauren Tutssel ist Corporate Identity- und Verpackungsdesignerin, Creative Director und Unternehmerin. Sie hat sich auf die Gestaltung einprägsamer und sammelwürdiger Flaschen für gehobene Spirituosenunternehmen wie Penderyn, Diageo, LVMH und Silent Pool, eine in Surrey ansässige Gin-Brennerei, spezialisiert. Sie ist Inhaberin der Agentur Chickadee Creative mit Sitz in London, UK. Lauren hat für eine Vielzahl von britischen, europäischen und globalen Kunden gearbeitet, darunter Unilever, LVMH Belvedere, Penderyn, Diageo, SAB Miller und Philip Morris. Sie war auch Jurymitglied beim iF DESIGN AWARD 2023.
iF: Wenn Sie sich eine Verpackung ansehen, woran erkennen Sie, ob sie nachhaltig ist?
Lauren: Das fängt bei den Materialien an, aus denen die Produktverpackung hergestellt wird. Dann kommt es darauf an, wie viel Technik involviert ist und wie der Herstellungsprozess aussieht, was in hohem Maße die Abfallmenge bestimmt, die beim Verpacken eines Produkts entsteht. Außerdem: Wie viele Dinge müssen entfernt und weggeworfen werden, um an das Produkt zu gelangen? Wenn ich mir einen Eintrag ansehe, geht es auch darum, wie gut alles wieder in den Kreislauf zurückgeführt werden kann. Schwarze Kunststoffe zum Beispiel sind mit der Nahinfrarottechnik, die bei den gängigen Recyclingverfahren eingesetzt wird, bekanntermaßen schwer zu erkennen. Es gibt ein Gleichgewicht zwischen umweltverträglichen Materialien und dem Schutz des Produkts. Wenn die Verpackung das Produkt nicht vor Schäden schützt, ist die Verwendung verantwortungsvoller Verpackungsmaterialien eher kontraproduktiv.
iF: Eine Fragen an Sie als Jurorin: Was macht ein Verpackungsdesign auszheichn ungswürdig?
Lauren: Oh, ich bin ein großer Verfechter der Idee. Alles, was ich gelernt habe, konzentriert sich auf diesen Funken und das, was es anders macht. Man fragt sich: Was ist die Geschichte dahinter? Es muss keine große Geste sein, es kann auch eine einfache sein. Eine Kleinigkeit, die Sie begeistert oder Ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubert, die Sie aber auch dazu bringt, sich mit dem Produkt näher zu befassen und die Marke näher kennenzulernen. Mir geht es auch um das Erlebnis und darum, wie ein Verbraucher mit einem Produkt umgeht. Ich möchte sehen, wie ein Designer zu einer bestimmten Lösung gekommen ist und warum. Ein Designer durchläuft eine Reihe von Phasen, um zum Endergebnis zu gelangen, und beginnt mit der Beobachtung und dem Einfühlungsvermögen, um zu verstehen, was die Marke braucht. Dann müssen sie das Problem definieren und es durch eine Reihe von Brainstormings und kreativen Wegen lösen, gefolgt von der Umsetzung in konkrete Visionen der Idee, die dann unweigerlich in das Produkt münden, das die Verbraucher kaufen. Das ist ein faszinierender und sehr spannender Prozess, bei dem man nie genau weiß, in welche Richtung er sich entwickeln wird.
iF: Was würden Sie einem Unternehmen (oder einem Designer) empfehlen, um sein Angebot zu verbessern?
Lauren: Seien Sie vielseitig. Seien Sie bereit, sich anzupassen. Es geht nicht mehr nur um das Produkt- oder Verpackungsdesign, man braucht heute viel mehr. Wie sieht die Markenwelt aus, wie sieht das Markenerlebnis aus, gibt es eine Art Ritual, mit dem sich ein Verbraucher mit der Marke auseinandersetzt? Es geht um so viel mehr als nur um den materiellen Gegenstand. Ich würde auch dazu raten, sich über die neuesten Trends und Inspirationen aus aller Welt auf dem Laufenden zu halten. Das Design entwickelt sich in einem unglaublichen Tempo, und es finden ständig Veränderungen statt. Neue Werkzeuge kommen ins Spiel, also nehmen Sie die Veränderungen an und bleiben Sie aufgeschlossen, denn eine Idee kann jederzeit und überall inspirieren.
iF: Wie macht man eine Ausbildung zum Verpackungsdesigner? Welche Fähigkeiten sind erforderlich?
Lauren: Mein Vater, Glenn Tutssel, war ein sehr bekannter Designer, und so bin ich quasi in diesen Beruf hineingeraten. Von klein auf war ich fasziniert von dem, was er tat, und ich saß immer neben ihm in seinem Atelier zu Hause mit Bleistiften oder Letraset, spielte mit unglaublichen farbigen Papieren aus seiner Plankiste, bastelte und skizzierte neben ihm. Er inspirierte mich dazu, Designer zu werden, aber er war ein strenger Lehrer. Ich habe von den Besten gelernt und verdanke meinen Erfolg seiner Hartnäckigkeit und seinem Fachwissen. Was die Ausbildung angeht, so habe ich vier Jahre lang Grafikdesign an der Kingston University studiert. Einige meiner Kollegen haben sich auf bestimmte Bereiche spezialisiert, z. B. Typographen und Innenarchitekten. Mit einem Abschluss in Grafikdesign kann man viele verschiedene Wege einschlagen, und das ist es, was ich an dieser Branche so liebe: Sie ist so anpassungsfähig und man kann sie zu seiner eigenen machen.
Hier ist ein Video meines Vaters, in dem er sein Design der Penderyn-Flasche beschreibt!
iF: Ich habe einmal gelesen, dass der wichtigste Rat Ihres Vaters für junge Designer darin bestand, sich Zeit zu nehmen. Was raten Sie Uni-Absolventen, die gerade erst anfangen?
Lauren: Ich stimme ihm zu, man muss sich unbedingt Zeit nehmen. Design ist etwas, das man mit Leidenschaft betreiben muss, es geht nicht um Glamour oder um diese schicke Berufsbezeichnung. Es ist nicht nur ein Job, es ist ein Teil von dir, und du musst das Gute, das Schlechte und das Hässliche akzeptieren.
Aber hier noch ein weiterer Rat: Habt Spaß! Das ist eine Sache, die mich bei jungen Designern manchmal frustriert: Sie gehen nicht mehr raus und gehen auf Erkundungstour. Heutzutage findet alles am Computerbildschirm statt. Als ich angefangen habe, bin ich rausgegangen und habe das Bild, das ich gesucht habe, in Geschäften, Museen oder Bibliotheken gefunden. Nutzt eure Sinne und seht euch die Welt an, erkundet sie, habt Spaß und die Ideen werden fließen!