"Der Fokus liegt auf Langlebigkeit" - Efrat Friedland über Materialinnovationen und nachhaltiges Design
Wie beeinflusst die Wahl der Materialien den ökologischen Fußabdruck eines Produkts? Efrat Friedland hat Kunden aus verschiedenen Branchen bei über 100 Projekten zu dieser Frage beraten. Sie fordert Unternehmen und Designer dazu auf, bei der Materialauswahl mutiger zu werden.
Seit über 17 Jahren erforscht die Industriedesignerin und Materialexpertin Efrat Friedland die Eigenschaften und das Potenzial innovativer Materialien, berät Unternehmen in verschiedenen Branchen und trägt zu internationalen Materialbibliotheken bei.
Wir sprachen mit ihr kürzlich über die Mailänder Möbelmesse Salone del Mobile, ihre Ratschläge für Unternehmen, die ihre Umweltauswirkungen reduzieren wollen, und darüber, wie ihr neues Projekt, das Positive Plastics Sample Kit, Designern helfen kann, verantwortungsvollere Materialoptionen zu wählen - und auch den Kunden zu überzeugen.
Efrat Friedland, Founder of materialscout and Co-founder of Positive Plastics
iF: Sie sind gerade aus Mailand zurückgekehrt. Was haben Sie in Bezug auf innovative Materialien gesehen?
Efrat Friedland: Was ich vor allem gesehen habe, ist die Abwesenheit dieser Materialien, in dem Sinne, dass so viele neue Produkte vorgestellt wurden, die meisten davon aus neuen Materialien; neue Materialien, sowohl natürliche (Stein, Holz, Leder) als auch künstliche Materialien.
Wenn wir nach Innovationen bei den Materialien suchen, sollten wir uns nicht nur auf die Materialien konzentrieren, sondern die Produkte oder Räume, um die es geht, überprüfen und untersuchen. Wie sind die Materialien, aus denen das gesamte Produkt besteht, eingesetzt und miteinander verbunden? Wie werden sie verarbeitet? Wurden unnötige Sekundärprozesse angewandt (Beschichtung, Lackierung)? Besteht das Produkt aus vielen verschiedenen Materialien oder wurde ernsthaft versucht, die Anzahl der Materialien so weit wie möglich zu reduzieren? Wenn all diese Kriterien erfüllt sind und die verwendeten Materialien aus nachwachsenden Rohstoffen oder mit einem hohen Anteil an recyceltem Material bestehen und auch wiederverwertbar sind (je nach Anwendung), haben wir es vielleicht mit einem besseren, innovativen Produkt zu tun.
Was ich außerdem beobachtet habe, und was mich nicht überrascht hat, ist, dass die meisten der vorgestellten interessanten Materialien von jungen, unabhängigen Designern und Designstudenten entworfen wurden. Ich bin auch auf einige junge Materialhersteller gestoßen, die mutig genug sind, neue Formeln auszuprobieren, und die bereit sind, ihre Produkte in großem Maßstab herzustellen. In den meisten Fällen gehören diese Materialien zur Familie der Bioverbundwerkstoffe, bei denen Naturfasern oder Füllstoffe mit Polymersubstraten gemischt werden.
Efrat Friedland ist ausgebildete Industriedesignerin und hat sich in den letzten 17 Jahren auf Materialien und Technologien im Bereich Industriedesign und Architektur konzentriert. Neben ihrer Tätigkeit als Materialberaterin hat sie Materialbibliotheken eingerichtet, zahlreiche Materialausstellungen kuratiert und auf internationalen Konferenzen gesprochen. Bild © Efrat Friedland
iF: Welchen Rat haben Sie für Unternehmen, die Produkte mit einem kleineren ökologischen Fußabdruck herstellen wollen?
EF: Mein erster Ratschlag wäre: "Hören Sie auf, unnötige neue Produkte zu produzieren". Reduzieren Sie Ihr Produktportfolio und bieten Sie nur Produkte an, die sich deutlich voneinander unterscheiden. Gestalten Sie Ihre bestehenden Produkte so um, dass sie besser für die Nutzer und die Umwelt sind. Setzen Sie auf Langlebigkeit durch die Wahl geeigneter Materialien und stabiler Technologien, investieren Sie in die Schaffung einer emotionalen Bindung zwischen den Nutzern und den Produkten, damit sie sie länger behalten.
Führen Sie so bald wie möglich ein Rücknahmesystem ein. Das mag anfangs eine große Investition sein, aber langfristig werden Sie Ihre Produkte, Teile und Materialien zur Reparatur, Wiederaufbereitung oder zum Recycling zurückbekommen. Schätzen Sie diese Materialien, auch wenn es sich um Kunststoffe handelt. Nur so können Sie allmählich unabhängig werden und Ihre Lieferkette verkürzen. Beschaffen Sie lokal und produzieren Sie lokal.
iF: Was ist das Positive Plastics Material Kit und wie kann es Designern helfen, bessere Materialien auszuwählen?
EF: Das Musterkit besteht aus einer Reihe von Kunststoffen verschiedener Hersteller, die alle entweder recycelte Kunststoffe oder Biomaterialien (oder beides) enthalten. Jedes Muster ist 10 x 10 cm groß und hat eine Reihe interessanter Eigenschaften, die Designer ausprobieren und testen können. Mit dem Hebel in der Mitte können Sie die Steifigkeit des Materials, die Oberflächenbearbeitung und vieles mehr testen. Die Form macht es einfacher, sich vorzustellen, wie das Material in Form von Kopfhörern, einer Kaffeemaschine oder was auch immer man entwerfen möchte, aussehen könnte.
Efrat Friedland, Founder of materialscout and Co-founder of Positive Plastics
Image © Positive Plastics Oy
Biomaterialien: Die Zukunft der Kunststoffe?
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Das Etikett mit den Bekleidungsdaten
Seit die Europäische Union im März 2022 den digitalen EU-Produktpass verabschiedet hat, müssen die Hersteller bald Informationen über die Materialien in ihren Produkten angeben. Ob das künftige Etikett auf Produkten wie ein QR-Code oder eher wie ein Nährwertkennzeichen aussieht, bleibt abzuwarten.
Das Bekleidungsetikett wurde von dem Materialforscher Peter Gorse entwickelt und enthält neben Informationen zu den Materialien auch Angaben zum Energiebedarf und zum Arbeitsentgelt. Als Vorbild für das Garment Facts Label diente ihm die Nährwertkennzeichnung in der Lebensmittelindustrie. Bild: Garment Facts Label © Peter Gorse, Cranfield University, UK.